„Im jedem Anfang liegt die Ewigkeit
Hugo von Hofmannsthal (1874 -1929)“
In letzter Zeit wurde ich immer wieder darauf angesprochen, wie ich auf die Idee gekommen bin, ein Buch zu schreiben. Die Frage ist natürlich berechtigt. Vor allem wenn man, wie in meinem Fall, eigentlich eher introvertiert mit solchen Dingen ist. Meine Antwort auf diese Frage lautet häufig in etwa so: „Das war schon immer mein Traum“ oder „Schreiben ist meine große Leidenschaft“. Das stimmt natürlich auch. Aber es ist auch nur ein Teil der Wahrheit. Den nur um des Schreibens Willen ist „Wächter der Morgenröte“ nicht entstanden.
Jede Idee hat einen Anfang. Das kann ein bloßer Gedanke sein, ein persönliches Erlebnis vielleicht - oder ein Gefühl. Bei mir war es wahrscheinlich letzteres. Diese Art von romantischer Melancholie, die bis heute etwas sehr Kreatives in mir zum Schwingen bringt. All diese vielschichtigen Splitter, die Tagträumen bisweilen innewohnen und die seltsamerweise die eigene Fantasie lebendig werden lassen.
Am Anfang war ein Gedanke - dieses eine immer wiederkehrende Bild. Ich sah Azrael, auf der Spitze eines gigantischen Turmes stehen, umgeben von Dunkelheit und regenschweren Wolken. Ich wusste nichts über ihn, er war mir fremd. Dieser gefallene Engel, der nichts Heldenhaftes an sich hatte, der mehr ein Antagonist war, als ein strahlender Held.
Irgendwann beschloss ich, um das Bild dieser einsamen und doch so leidenschaftlichen Figur ein paar Zeilen zu weben. Das dystopische Setting, die Figuren mit ihren persönlichen Schicksalen, allen voran Azraels Suche nach seiner Schwester, waren sehr schnell Kern der Handlung. Der erste Entwurf der Geschichte war dann aber noch recht unbeholfen. Plotten will schließlich gelernt sein, schreiben will schließlich gelernt sein.
So reihte sich zunächst Kapitel an Kapitel, ohne dass es einen wirklich durchdachten Plot gab. Aber je länger ich über diese Geschichte nachdachte, umso mehr erschufen meine Tagträume neue Orte und Charaktere. Die Motive hinter der Geschichte sind mir im Laufe der Zeit erst nach und nach klar geworden. Sie wuchsen mit meinen Gedanken, mit meinen Erkenntnissen über die Welt wie ich sie wahrnehmen und das Leben. Sie reiften mit meinen persönlichen Krisen und Erfolgen. Manche Entscheidungen, die Azrael und seine Gefährten im Laufe der Handlung treffen, stammen von ihnen selbst. Und ja, ich bin fest davon überzeugt, dass unsere erdachten Figuren Eigendynamiken entwickeln können, die wir ohne ihre Hilfe nicht bewerkstelligt hätten. Aber das ist vielleicht mal ein eigener Beitrag wert.
Über diese vielen Irrwege hinweg überarbeitete ich im Laufe der Jahre „Wächter der Morgenröte“ unzählige Male. Und jedes Mal halfen mir kreative Einflüsse aus Kunst, Kino und Literatur meine Arbeit und meinen Stil Stück für Stück zu verfeinern. Dass ich eine große Leidenschaft für Geschichte, insbesondere das alte Rom und griechische Mythologie habe, haben den Morgenröte - Zyklus maßgeblich beeinflusst. Auch sehr tagesaktuelle Gesellschaftsthemen wie Krieg, Umweltzerstörung und die Tatsache dass sich die Menschheit an ihrer Ignoranz selbst zugrunde richtet, finden sich in meiner Geschichte wieder.
Aber der tote Punkt war irgendwann trotzdem erreicht. Ich konnte die Geschichte nicht mehr aus eigener Kraft auf die nächste Ebene bringen, ohne sie völlig überzuambitionieren. Ich war aber auch schon zu weit gekommen, um sie aufzugeben. Wenn du fast eine Dekade an einem Projekt arbeitest, willst du es nicht ungelesen in einer Schublade verschwinden lassen, oder?
An einem tristen Septembernachmittag des Jahres 2021 kam es schließlich zu einem Schlüsselmoment. Und Schlüssel ist in diesem Fall das richtige Wort, denn mir wurde mehr oder weniger ein Schlüssel in die Hand gegeben. Ich wollte gerade die nächste Runde „überarbeite dein Manuskript“ beginnen. Meine Freundin bemerkte in ihrer Achtsamkeit sofort, was ich vorhatte. Sie sah mich an und fragte mich ganz unverblümt: „Willst du die nächsten 100 Jahre dieses Manuskript bearbeiten oder veröffentlichst du jetzt endlich mal?“
Ich bin wirklich selten sprachlos. Aber diese Frage brachte mein Dilemma so präzise auf den Punkt, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als mir diese Frage selbst zu beantworten. Und für was ich bis dato beinahe zehn Jahre gebraucht hatte, war binnen der nächsten 24 Stunden entschieden.
So spielt das Leben, Manchmal braucht es vielleicht diesen einen entscheidenden Impuls, um sich selbst zu bewegen - und diesen einen Traum, der einem wirklich wichtig ist.